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Aufsätze - Ritueller Mißbrauch
Thorsten Becker & Patrick Felsner



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4. Mind Control-Techniken

Mind Control wird in den deutschen Übersetzungen amerikanischer Fachliteratur meist mit "Bewußtseinskontrolle" übersetzt. In dieser Verkürzung wird übersehen, das sich ein Teil der hier angewandten Techniken auch auf das Unterbewußtsein bezieht. Aus diesem Grund wird in den folgenden Ausführungen der Begriff der "Mind Control" beibehalten.
Mind Control ist ein entscheidendes Merkmal und Beurteilungskriterium für die Tätigkeiten und Handlungen einer Gruppierung. Dies gilt insbesondere für religiöse und ideologische Gruppierung jeglicher Art. Zunehmend werden Techniken der Mind Control aber auch im Bereich der organisierten Kinderpornographie und Kinderprostitution verwandt. Ziel von Mind Control ist die Erlangung totaler Herrschaft über das Opfer und die Schaffung von Abhängigkeitsstrukturen. Hierzu wird eine Vielfalt von Techniken verwandt und kombiniert, so beispielsweise Manipulation, Indoktrination, Konditionierung, Codierung / Programmierung und "Gehirnwäsche".

4.1. Definition von Mind Control ("Bewußtseinskontrolle")

Mind-Control ist "ein System von Einflüssen, mit dem die Identität des Individuums (seine Überzeugung, sein Verhalten, Denken und Fühlen) zerbrochen und durch eine neue Identität ersetzt wird." (nach Hassan, Steve; Combatting Mind Control; Deutsch: Ausbruch aus dem Bann der Sekten; Reinbek, 1993; S. 25).

"Ziel und Zweck der Mind Control ist es, Kontrolle und Hörigkeit über das Opfer oder des Überlebenden sowohl während des Mißbrauchs und der Rituale und während des `normalen Lebens´ des Opfers zu bekommen." (Tagungs-Handout der Ritualistic Abuse Consultancy, Sydney).

Bislang gibt es wenige Veröffentlichungen und sehr wenige Untersuchungen über Mind Control. Entscheidende Erkenntnisse entstammen den Untersuchungen des amerikanischen Psychologen Robert J. Lifton über die Gehirnwäsche im Koreakrieg (Robert J. Lifton; Thougt Reform and the Psychology of Totalism - A Study of Brainwashing in China; New York, 1961). Diese Erkenntnisse hat Lifton in den achtziger Jahren in der Diskussion um die "destructive cults" in den USA überarbeitet und hieraus ein Modell entwickelt, wie ein Prozeß der Mind Control funktioniert.

4.2. Kriterien zu Mind Control

Als Leitlinie für eine näheren Untersuchung zur Anwendung von Mind Control benennt Lifton folgende acht Kriterien:
  1. Milieukontrolle
  2. Mystische Manipulation, geplante Spontanität
  3. Forderung nach Reinheit
  4. Kult des Sündenbekenntnisses
  5. Geheiligte Wissenschaft
  6. Manipulation der Sprache
  7. Vorrang der Lehre vor dem Menschen
  8. Zu- und Aberkennung der Existenzberechtigung

4.2.1. Milieukontrolle

Die Kommunikation und das Umfeld einer Person werden kontrolliert. Dies geschieht beispielsweise dadurch, daß "Ausbilder" als Bezugspersonen eingesetzt werden oder das intensive Seminare über längere Zeiträume mit dem Ziel, daß die Kontakte "nach außen" abbrechen, durchgeführt werden. Lifton führt aus: "Ist diese Kontrolle extrem intensiv, so wird sie zur internalisierten Kontrolle - ein Versuch, die innere Kommunikation des Individuums zu steuern." Zeitgleich läßt sich eine starke Persönlichkeitsveränderung beobachten. Häufig kommt es bereits auf dieser Stufe zu einer Verschiebung des Normen- und Wertesystems.

4.2.2. Mystische Manipulation, geplante Spontanität

Die mystische Manipulation geht häufig einher mit der Beeinflussung durch Riten wie beispielsweise Chanten, Fasten, Meditation, usw. Das Weltbild wird hierbei dualisiert; es wird in „Gut" (="intern" - innerhalb der Gruppierung) und "Böse" (="extern" - die gegen die Gruppierung gerichtete Außenwelt) eingeteilt. "Neueinsteiger" werden außerdem um der Ideologie willen auch getäuscht, gezielt desinformiert und systematisch belogen.

4.2.3. Forderung nach Reinheit

Durch die Einteilung in Radikale wie zum Beispiel Rein - Unrein, Gut - Böse wird vor allem eine Trennung innerhalb der Person erzeugt. Die ständige Forderung nach vollkommener Reinheit bildet die Grundlage für eine völlige öffnung zur ("reinen") Gruppierung und damit eines Rückzugs aus der umgebenden externen ("unreinen") Außenwelt.

4.2.4. Kult des Sündenbekenntnisses

Als konsequente Folge der Forderung nach Reinheit ergibt sich, daß die Person jeden "Fehltritt" oder Verstoß den Gruppenmitgliedern mitteilen muß. Dies bildet die Grundlage für Kritik und Selbstkritik. Diese häufig in kleinen Gruppen durchgeführte Kritik verursacht Scham- und Schuldgefühle, die den unbewußten Druck erzeugen, dies nicht wieder zu tun. Diese Einengung des Handlungsspielraums und damit des Handelns ist der nächste Schritt zu einer starken Persönlichkeitsveränderung.

4.2.5. Geheiligte Wissenschaft

Die erfahrene Spiritualität wird als Teil einer komplexen Wissenschaft dargeboten. Die mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit verknüpfte Belegbarkeit und Modernität des hier exklusiv vermittelten Wissens beugen einem kritischen Hinterfragen vor. Werden diese Ansichten übernommen, führen sie zu einer erheblichen Vereinfachung der Weltsicht.

4.2.6. Manipulation der Sprache

Durch die gezielte Veränderung der Sprache (hin auf eine einfache "logische" Sprache und "klare" Begrifflichkeiten) erfolgt noch einmal eine klare Trennung in "Gut" und "Böse". Beispiele hierfür sind das Verbot der Verwendung von Begriffen oder die Neudeutung von Begriffen. Diese Manipulation der Sprache führt zu einer weiteren Reduzierung - und damit häufig zum Abbruch - der Außenkontakte. Die Ursache hierfür liegt mit darin, daß diese Person in ihrem externen Umfeld nicht mehr verstanden wird.

4.2.7. Vorrang der Lehre vor dem Menschen

Das eigene Erleben muß der Lehre untergeordnet werden. Hierdurch werden entstehende Konflikte zwischen dem eigenen Erleben und der Lehre / dem Dogma der Gruppierung aufgelöst. Jeder Zweifel wird hierdurch zu einer Bestätigung, daß die Lehre noch nicht "verstanden und internalisiert" wurde. Lifton führt hierzu aus: "Man lernt, Zweifel als eine Reflexion des eigenen Bösen zu empfinden".

4.2.8. Zu- und Aberkennung der Existenzberechtigung

Dieses Kriterium ist als Endergebnis der vorhergehenden zu verstehen. Es ist die zwangsläufige Folge der unbedingten Trennung in Extreme. Vorrangig ist dies nach außen gerichtet, daß heißt die Gruppierung entscheidet beispielsweise über die "Nichtexistenz" in Form von Bestrafungen oder eines Ausschlusses. In einigen Gruppierungen kann dieses Kriterium allerdings nach innen gerichtet sein. Hier entscheiden Gruppenmitglieder über die tatsächliche Existenz eines Gruppenmitgliedes, das heißt über Leben und Tod.

(Quelle: Lifton, Robert J.; The Future of Immortality and Other Essays for a Nuclear Age; Passage: Cults: Religious Totalism and Civil Liberties; New York, 1987; veröffentlicht als übersetzung in Auszügen in: Steve Hassan; Ausbruch aus dem Bann der Sekten; Reinbek, 1993; S. 315 ff.)

4.3. Mind Control in satanischen Kulten

Im Bereich von satanischen und auch faschistisch ideologisch geprägten Kultsystemen erfahren diese Techniken einer weitere Steigerung und Verstärkung. Ein Teil dieser Techniken ist Gegenstand von "Forschungen" in den Konzentrationslagern des "Dritten Reiches" gewesen und bei den Forschungen der Geheimdienste weiterentwickelt worden (vgl. hierzu: John Marks; The Search für the "Manchurian Candidate" - The CIA and Mind Control; New York & London, 1991).
Das Wechselspiel von einander bedingenden Beeinflussungen auf den unterschiedlichen Ebenen der Wahrnehmung ist von hoher Komplexität. Dieser von sehr diffizilen Techniken geprägte zusammenhängende Prozeßverlauf ist durch Kathy K. Snowden, einer Psychologin aus Richmond, Virginia (USA), dargestellt worden. Ihre Erkenntnisse basieren auf ihrer langjährigen Arbeit mit Opfern / Überlebenden Rituellen Mißbrauchs, die unter schweren dissoziativen Störungen leiden.

Als Folge dieser häufig sehr extremen Techniken und den damit verbundenen Traumatisierungen entstehen Dissoziationen, die in Posttraumatische Belastungsstörungen oder auch in Dissoziative Identitätsstörungen / Multiple Persönlichkeitsstörungen (DID / MPD; deutsch: DIS / MPS) münden können.

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