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Aufsätze - Ritueller Mißbrauch von Kindern in Deutschland
- Frage oder Feststellung?
Thorsten Becker
in: KJuG - Kind Jugend Gesellschaft - Zeitschrift für Jugendschutz;
41. Jahrgang - Heft 4, November 1996; S. 121 f.



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Definition Ritueller Mißbrauch:

"Ritueller Mißbrauch ist schwerer sexueller, physischer und emotionaler Mißbrauch, der sich in einem Kontext ereignet, verbunden mit Symbolen oder Tätigkeiten, die den Anschein von Religiösität, Magie oder übernatürlichen Bedeutungen haben. Diese Tätigkeiten werden über längere Zeit wiederholt, um die Kinder in Angst zu versetzen, sie gewaltsam einzuschüchtern und um sie zu verwirren."
(4)
Diese Definition ist sehr weit gefaßt. Sie beinhaltet neben sexuellem Mißbrauch auch Mißhandlungen - physischer und psychischer Art. Die vorherrschende Auffassung, daß Ritueller Mißbrauch nur im Bereich des Satanismus oder "germanofachistischer Sekten" vorkomme, ist anhand der vorliegenden Definition nicht haltbar. Zum Rituellen Mißbrauch gehören somit auch ritualisierte Formen der Mißhandlungen, die nicht unbedingt ideologischen Ursprung haben müssen, beispielsweise bei kinderpornografischen Aufnahmen.

Für eine notwendige Differenzierung im Rahmen vorliegender Definition bietet sich folgendes Modell:

Kultischer Ritueller Mißbrauch

Der Mißbrauch / die Mißhandlung ist wesentlicher Bestandteil eines (hoch) organisierten Glaubenssystems. Sexueller Mißbrauch ist funktionalisiertes Mittel zum Zweck, beispielsweise der Magie (Sexualmagie).

Pseudo-ritueller ("ritualisierter") Mißbrauch

Der Mißbrauch / die Mißhandlung findet meist innerhalb eines mehr oder wenig stark organisierten kriminellen System oder von Einzeltätern statt. Die Ausübung der Mißbrauchshandlungen basiert auf keinem ideologischen Glaubenssystem. Kinder werden durch übernatürliche Kräfte (wie Geister, Monster, Batman u.ä.) bedroht. Kinder werden durch diese "Bilder" regelrecht terrorisiert; außerdem bewirken diese Bedrohungen, daß Offenbarungen von Kindern meist frühzeitig von HelferInnen als "Kindesphantasien" abgetan werden und diese Kinder erneut die Erfahrung machen, daß ihnen keiner hilft. Verstärkt wird dieser Umstand sehr häufig bei Schilderungen "satanischer" Tötungen.

Psychopathologischer Ritueller Mißbrauch

Der Mißbrauch / die Mißhandlung ist Teil eines Wahn- und Zwangssystems, welches mit massiven Perversionen gekoppelt ist. Obige Auflistung (5) verdeutlicht, daß eine eindimensionale Betrachtungsweise dieser komplexen Problematik nicht angemessen ist. Die Arbeit bei Verdachtsmomenten Rituellen Mißbrauchs stellt hohe Anforderungen an die Helfer. Ein vernetztes Arbeiten, eine enge Kooperation unter Einbeziehung aller fachlich notwendigen Ressourcen - vor allem im Bereich einer interdisziplinären Zusammenarbeit - erscheint gerade angesichts der häufig auftretenden Schilderungen von "satanischen" Tötungen unabdingbar. Pauschale Negationen wie jüngst in "Psychologie Heute" (6) zu lesen, zeugen allenfalls von einer peripheren Wahrnehmung der vielschichtigen Problematik. Demgegenüber stehen sowohl Schilderungen von Therapeuten und Beratern, wie sie unter anderem dem Verfasser aus seiner Beratungspraxis bekannt sind, als auch ernstzunehmende Einzelfall-Schilderungen aus Deutschland in der Literatur (7,8). Dem Verfasser sind mehrere laufende Ermittlungsverfahren hinsichtlich Tatvorwürfen des Rituellen Mißbrauchs bekannt. Erschwerend kommt bei einigen dieser Verfahren hinzu, daß die Schilderung der Tötung von Babys jegliche vorsichtige Ermittlungsarbeit zunichte macht. Dieser Tatvorwurf gebietet sofortiges polizeiliches Handeln, so daß eine auf längere Zeit angelegte, vorsichtig geführte Ermittlung unmöglich gemacht wird, und somit Täter auf diese Art frühzeitig gewarnt werden. Ob dies durch Täter intendiert ist, gilt es zu hinterfragen. Tatsache ist aber, daß unzutreffende Aussagen wie "...die Tötung von Babys kann selbst als Vermutung nicht bestätigt werden." (9), Gefahr laufen kann, hier Vorschub zu leisten. Das eigene Empfinden des "Unglaublich" seitens der mit diesen Schilderungen konfrontierten Helfer, gestützt von derartigen Einschätzungen führt dann (vor)schnell zum Urteil eines "Unglaubwürdig." "Ein notwendiges, am Wohl des Kindes orientiertes fachliches Handeln erfolgt dementsprechend noch in den wenigsten Fällen", konstatiert der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Hamburg e.V. (10). Diese Einschätzung stützt sich hier auch auf die Erfahrungen des der ajs-Hamburg initiierten "Aktionsprojektes Ritueller Mißbrauch von Kindern", welches 1994 zu den Preisträgern des Kinderschutzpreises der Hanse-Merkur-Versicherungsgruppe gehörte. Häufig verhindert der eigene Unglaube der Helfer eine notwendige, sorgfältige Prüfung derartiger Schilderungen, ersetzt die eigene Abwehr eine fachliche Diagnostik.

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