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Aufsätze - The Child Sexual Abuse Accomodation Syndrome
Roland Summit
Übersetzung durch Birgitta Rennefeld



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4. "ABGESTRITTENE, WIDERSPRÜCHLICHE UND NICHT ÜBERZEUGENDE OFFENLEGUNG" (DELAYED, CONFLICTED AND UNCONVINCING DISCLOSURE)

Fortgesetzter sexueller Mißbrauch wird meistenteils niemals offengelegt, am wenigsten der, der außerhalb der unmittelbaren Familie geschieht. Behandelte, gemeldete und untersuchte Fälle sind die Ausnahme, nicht die Regel. Die Offendeckung ist entweder eine Folge der überwältigenden Konflikte in der Familie, der zufälligen Entdeckung durch eine dritte Partei oder der sensiblen Herangehensweise der Kinderschutzorganisationen und ihrer "community education".

Wird die Offenlegung durch einen Familienkonflikt ausgelöst, so geschieht dies gewöhnlich nach einigen Jahren fortwährendem sexuellen Mißbrauchs und einem möglichen Zusammenbruch der Akkomodationsmechanismen. Das Inzestopfer verhält sich schweigend bis zur Adoleszenz, in der sie fähig wird, ein eigenständiges Leben für sich zu verlangen und die Autorität der Eltern herauszufordern. Die Adoleszenz bewirkt ebenso, daß der Vater zunehmend eifersüchtig und kontrollierend wird in dem Versuch, seine Tochter von "Gefahren" fernzuhalten, die außerhalb durch die Anbindung an Gleichaltrige bestehen. Die zersetzende Folgewirkungen der Akkomodation scheinen jede extreme Form der Bestrafung zu rechtfertigen. Welcher Elternteil würde nicht strenge Restriktionen einsetzen, um Weglaufen, Drogenmißbrauch, Promiskuität, Rebellion und Delinquenz zu bekämpfen?

Nach einigen besonders harten Auseinandersetzungen und einer geschmälerten Demonstration der väterlichen Autorität wird das Mädchen schließlich durch ihre Wut dazu getrieben, das Geheimnis preiszugeben. Sie sucht Verständnis und Intervention zu genau dem Zeitpunkt, an dem sie am wenigsten damit rechnen kann, diese auch zu finden. Die Verantwortlichen werden durch die delinquenten Verhaltensweisen und die rebellische Wut, die das Mädchen zeigt, abgeschreckt. Die meisten Erwachsenen, die mit solch einer Mißbrauchsgeschichte konfrontiert werden, tendieren dazu, sich mit dem Problem der Eltern zu identifizieren, in dem Versuch, mit einem aufsässigen Teenager umzugehen. In ihrer Wahrnehmung scheint das Mädchen mehr über die unmittelbare Bestrafung erbost zu sein, als über die von ihr behaupteten Grausamkeiten. Sie nehmen an, daß solch eine phantastische Klage keine Wahrheit enthält, vor allem da das Mädchen sich nicht bereits vor Jahren beschwert hat, zum Zeitpunkt, von dem sie angibt, gewaltsam belästigt worden zu sein. Sie vermuten, daß sie die Geschichte erfunden hat als Vergeltung für die Versuche des Vaters, eine begründete Kontrolle und Disziplin zu erreichen. Je unangemessener und mißhandelnder die ursächliche Bestrafung, desto mehr nehmen sie an, das Mädchen würde alles tun, um wegzukommen, sogar bis zu dem Punkt der falschen Beschuldigung des Vaters.

Wenn nicht besonders ausgebildet und sensibilisiert, kann der / die Durchschnittserwachsene, einschließlich Mutter, Verwandte, LehrerInnen, BeraterInnen, ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen, Untersuchungspersonen und Geschworene nicht glauben, daß ein normales vertrauensvolles Kind den Inzest tolerieren würde, ohne sofort davon zu berichten, oder daß ein augenscheinlich normaler Vater fähig sein sollte zu einer wiederholten, uneingeschränkten sexuellen Belästigung seiner eigenen Tochter. Ein Kind jeden Alters steht einem ungläubigen Auditorium gegenüber, wenn sie sich über den fortgesetzten Inzest beschwert. Die wütende Jugendliche, die in Schwierigkeiten steckt, riskiert nicht nur Unglauben, sondern ebenso, durch Demütigung und Bestrafung zum Sündenbock gestempelt zu werden.

Nicht alle Jugendlichen, die sich beklagen, erscheinen wütend und unzuverlässig. Ein alternatives Akkomodationsmuster besteht darin, daß das Kind überlebt, indem sie / er jedes Anzeichen für einen Konflikt versteckt. Solch ein Kind ist vielleicht ungewöhnlich erfolgreich und allgemein beliebt, eifrig bemüht sowohl den Lehrern als auch der Peergruppe zu gefallen. Wenn dann die ausgezeichnete Studentin oder der Kapitän der Footballmannschaft versucht, die Geschichte der andauernden sexuellen Verstrickung mit einem Erwachsenen zu beschreiben, wird die Reaktion der Erwachsenen um so ungläubiger sein. Wie kann solch eine Sache so einer netten jungen Person passiert sein? Niemand, der so talentiert und gut angesehen ist, hätte in etwas derart Schmutziges verwickelt werden können. Offenbar ist es nicht geschehen oder, falls es doch passiert ist, hat es das Kind mit Sicherheit nicht verletzt. So besteht für eine Klage kein wirklicher Grund. Ob das Kind delinquent, hypersexuell, sexualfeindlich, suizidal, hysterisch, psychotisch oder perfekt etabliert ist oder zornig, ausweichend oder gelassen - der unmittelbare Affekt und die Anpassungsmuster des Kindes werden von den Erwachsenen zur Entkräftigung der Klage interpretiert werden.

"Boy love" wird als "Zielscheibe" (Hervorh. B. R.) besonders falsch verstanden. Der Junge gilt wahrscheinlich als "schwul" (queer) oder krank. Die Adoleszenz hat eine Krise der Zurückweisung heraufbeschworen: Der Junge ist aus dem von Pädophilen bevorzugten Alter herausgewachsen. Gelegentlich ist der Junge verletzt und wütend genug, um darüber zu sprechen, aber wesentlich häufiger wird er versuchen, mit dem Treuebruch still und allein fertig zu werden. Falls er sich darüber beklagt, so ist es für die Eltern und andere Personen nicht ungewöhnlich, die Klage zurückzuweisen, um den vertrauenswürdigen Nachbarn oder Kollegen zu verteidigen.

Im Gegensatz zum populären Mythos sind sich die meisten Mütter des fortgesetzten sexuellen Mißbrauchs nicht bewußt. Pädophile Verwandte und Freunde haben eine Art und Weise, ein Gefühl von Vertrauen und Dankbarkeit zu erwecken, indem sie Liebe und Sorge für das Kind zeigen.

Die Ehe fordert ein beträchtliches Maß an blindem Vertrauen und Verleugnung, um zu überleben. Eine Frau wird nicht einem Mann ihr Leben und ihre Sicherheit anvertrauen, den sie für fähig hält, seine eigenen Kinder zu belästigen. Diese grundlegende Verleugnung wird um so ausgeprägter sein, je mehr die Frau selbst Opfer gewesen ist und je mehr sie sich ohnmächtig und wertlos fühlt, angesichts von fehlendem Schutz und Angenommensein durch einen Mann. Der "offensichtliche" Anhaltspunkt für sexuellen Mißbrauch ist gewöhnlich nur im Rückblick augenscheinlich. Unsere Annahme, daß die Mutter "davon gewußt haben muß", entspricht lediglich dem Anspruch des Kindes, die Mutter hätte intuitiv das ersichtliche und bewußt verheimlichte Unbehagen in der Familie erfaßt.

So reagiert die Mutter typischerweise auf die Behauptung des sexuellen Mißbrauchs mit Unglauben und schützender Verleugnung. Wie hätte es sein können, daß sie nichts davon gewußt hat. Wie könnte das Kind so lange damit warten, es ihr zu erzählen? Was für eine Mutter hätte es zulassen können, daß solch eine Sache passiert? Was würden die Nachbarn denken? Als jemand, der wesentlich abhängig von der Anerkennung und Großzügigkeit des Vaters ist, wird die Mutter im inzestuösen Dreieck mit einem "mind - splitting" Dilemma konfrontiert, das analog zu dem des Kindes ist: entweder ist das Kind schlecht und verdient die Bestrafung durch den Vater, oder der Vater ist schlecht und straft somit zu unrecht. Einer von ihnen lügt und ist des Vertrauens nicht wert. Die ganze Sicherheit der Mutter und ihre Lebenseinstellung und ein großer Teil ihres Selbstwertes als Erwachsene erfordern Vertrauen in die Zuverlässigkeit ihres Partners. Die Alternative zu akzeptieren heißt Vernichtung der Familie und eines beträchtlichen Maßes eigener Identität. Ihre Ängste und Ambivalenz werden durch die logische Herausforderung des Vaters beruhigt: "Bist du dabei, dieser lügenden kleinen Schlampe zu glauben? Kannst du glauben, ich würde so etwas tun? Wie hätte sowas direkt vor deiner Nase vonstatten gehen können? Du weißt, wir können ihr nicht vertrauen, wenn wir sie nicht im Auge haben. Gerade wenn wir versuchen einzuschreiten und ich ihr gegenüber massiv werde, reagiert sie mit einer Räubergeschichte wie dieser. Das ist nun der Dank dafür, daß ich versuche, sie aus Schwierigkeiten herauszuhalten!"

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